Klimawandel: Mehr Mut zum Pessimismus
Nach der Corona-Krise ist der Ukraine-Konflikt das bestimmende Thema der Öffentlichkeit. Bei dem berechtigten Fokus von Medien, Politik und Gesellschaft auf die Verbrechen an der Menschlichkeit mitten in Europa drohen gleichzeitig Klimaschutz und Nachhaltigkeit mehr und mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein zu geraten. Das ist gefährlich, denn der Zustand des Weltklimas verschlechtert sich, eine unbewohnbare Erde ist nicht länger dystopisches Gedankenspiel. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Klimawandel braucht einen Abschied vom 2 Grad-Ziel. Mit mehr Ehrlichkeit in der Debatte kann auch ein gerechter(er) Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den globalen Süden gelingen.
Die globale Öffentlichkeit eilt von Krise zu Krise. Kaum hatten sich zumindest einige Regionen der Welt langsam von der Corona-Pandemie erholt, stellte der russische Angriffskrieg in der Ukraine Politik, Gesellschaft aber auch Wirtschaft vor die größten Herausforderungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Große Anstrengungen werden unternommen, unter anderem schnürt die Bunderegierung ein gewaltiges Rüstungs- und Verteidigungspaket in Höhe von 100 Mrd. Euro, um die Wehrfähigkeit des Landes (auch) in Zukunft sicherzustellen.
Der Krieg fordert das Klima heraus
Angesichts der Bewältigung aktueller Krisenherde rückt ausgerechnet eine der akutesten Gefährdungen des Planeten aus dem Blickfeld: der Klimawandel. Klimawandel – war da was? Während die zeitweise Verbesserung der Luft- und Wasserqualität während wochenlanger Lockdowns und dem zeitweisen Herunterfahren des gesamten öffentlichen Lebens in 2020 den Eindruck erweckt haben mögen, dass die Klimakrise bereits im Griff sei, ist die Erholung der Ökosysteme vor allem eines gewesen: temporär. Dies wurde auch in den Ergebnissen und Forderungen der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow Ende 2021 ein weiteres Mal deutlich.
Dabei sind die politischen sowie wirtschaftlichen Reaktionen auf den Krieg – unabhängig von ihrer Berechtigung angesichts von Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen in der Mitte Europas – im Licht der gewaltigen Aufgabe(n) des Klimaschutzes nicht unproblematisch. Im Gegenteil:
- Mit Blick auf die gewaltige finanzielle Stärkung des Verteidigungssektors werden dringend benötigte Investitionen z. B. zum Ausbau alternativer Energieträger hintangestellt. Gewinnen werden vor allem Rüstungskonzerne, nicht das Klima.
- Gleichzeitig geht es politisch und wirtschaftlich nicht länger um den Ausbau einer klimafreundlichen Energieversorgung, sondern um ihre Aufrechterhaltung. Nach dem beschlossenen Boykott von Öl und Gas aus Russland müssen nicht nur Industrie und Produktion in Deutschland und Europäischer Union (EU), sondern auch Privathaushalte versorgt werden. Die teilweise Umstellung auf Liquified Natural Gas (LNG) mit einhergehendem Ausbau von Gas-Terminals ist dafür zwar eine Lösung, aber nicht klimafreundlich. Denn das Gas, das dort ankommen wird, stammt zum großen Teil aus den USA, wo es mittels umwelt- und klimaschädlicher Fracking-Methoden gewonnen wird.
- Zudem steigen die Kosten für Energie und Lebensmittel immer weiter. Viele Verbraucher:innen stehen schon jetzt vor der Herausforderung, wie sie die Kosten ihrer alltäglichen Versorgung mit Lebensmitteln, Gas, Öl und Benzin tragen sollen. Wie wird sich angesichts der Inflation die Bereitschaft entwickeln, vermehrt regionale oder fleischlose – und damit klimafreundlichere – Produkte zu kaufen? Gießkannenlösungen wie das 9 Euro Ticket oder Tankgutscheine, von denen vor allem Öl-Konzerne profitieren – so viel ist sicher – werden hier keine langfristige Erleichterung bringen.
2 Grad-Ziel? Ehrliche Auseinandersetzung dringend nötig
Was es braucht, um die öffentliche Debatte um den Klimawandel wieder in Gang zu bringen, ist vor allem mehr Ehrlichkeit und eine gewisse Portion Pessimismus. Denn gegenwärtig scheint die Illusion vorzuherrschen, dass sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schon längst eindringlich mit dem Thema beschäftigt haben – und Lösungen auf dem Tisch liegen. Ein wenig Innovation hier, ein bisschen mehr Effizienz da, und schon hätte sich das Weltklima wieder beruhigt. Leider ist dem nicht so. Im Gegenteil, die globalen Treibhausgas-Emissionen befinden sich auf einem historischen Höchstwert, das Weltklima verschlechtert sich zunehmend – und schneller als gedacht. Wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres in seiner Reaktion auf den neuen Bericht des Weltklimarats (IPCC) angab. „Es (…) ist ein Katalog der leeren Versprechen, die die Weichen klar in Richtung einer unbewohnbaren Erde stellen.“
Gerade deshalb gehört zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Klimawandel der Abschied vom berühmten 2 Grad-Ziel (von der 1,5 Grad-Marke ganz zu schweigen). Jene 2 Grad Celsius beziehen sich auf den Anstieg der globalen Durchschnitts-Temperatur im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es sich bei dieser Zahl um eine politische handelt, die besagt, dass ein Temperaturanstieg unterhalb dieser Marke sowohl Gewinner als auch Verlierer des Klimawandels hervorbringen wird, während eine Überschreitung der 2 Grad schlichtweg jeden zu Verlierern macht (in unterschiedlichen Graden).
Der Abschied der Marke ist kein Zynismus, sondern Hilfestelle für eine ersthafte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, die auf uns zukommen. Dafür gibt es zweierlei Gründe. Erstens deutet momentan nur wenig darauf hin, dass sich das 2 Grad-Ziel erreichen lässt. Immerhin bezieht sich dieser Wert nicht auf ein Weiter-So, sondern berücksichtigt bereits, dass umfangreiche Klimaschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Gegeben der Korrelation zwischen Treibhausgasen und der Erderwärmung sowie dem historischen Höchststand der Emissions-Werte ist ein größerer Temperaturanstieg wahrscheinlich. Seit 1880 ist die globale Temperatur bereits um 1,2 Grad Celsius gestiegen, nach Prognosen der Weltwetterorganisation (WMO) könnte die Durchschnittstemperatur schon im Jahr 2026 bei mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. Und: Die bisher erklärten Beiträge der einzelnen UN-Mitgliedsstaaten zum Übereinkommen von Paris werden nach Angaben des Umweltbundesamts „sehr wahrscheinlich“ zu einer globalen Erwärmung von mehr als 3 Grad Celsius führen.
Zweitens geht es um die Beschaffenheit der Modelle selbst, nach denen die Veränderung des Weltklimas ermittelt wird. Forscher:innen sind mittlerweile ziemlich gut in der Lage, ihre Modelle auf die Klimazustände der Vergangenheit zu übertragen und mit den dokumentieren Werten in Einklang zu bringen. Ein allgemeiner Trend, der dabei zu Tage tritt, ist allerdings, dass die Werte der Modelle allesamt konservativ beschaffen sind und deswegen weit weniger extreme Klimazustände errechnet haben als sie tatsächlich vorherrschten. Übertragen auf die Vorhersagen über die Zukunft bedeutet das, dass die existierenden Modelle ebenfalls konservativ ausfallen werden und deshalb das Weltklima der Zukunft wahrscheinlich extremer ausfallen wird als angenommen. Dies bestätigen auch aktuelle Untersuchungen zu den Auswirkungen des Klimawandels. Aus diesen Gründen lohnt es sich sehr wohl, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, wie die Welt aussehen wird mit einem globalen Temperaturanstieg von 4 Grad Celsius oder sogar 6 Grad Celsius gegenüber dem Vorindustriellen Zeitalter. So heißt es immerhin auch weiter beim Umweltbundesamts: „Ein Weiter-so wie bisher würde (…) eine Erwärmung um mehr als 5 Grad Celsius zur Folge haben, mit entsprechend größeren Konsequenzen“.
Klimaschutz ist (auch) eine Frage der Gerechtigkeit
Daraus wird klar: Die beinahe beruhigende Wirkung des 2 Grad Ziels auf die Öffentlichkeit in ihrer Suggestion, dass alles schon nicht so schlimm kommen wird, ist kontraproduktiv. Als Ziellinie der globalen Akteure hat sie ihren Einfluss längst verloren.
Ihre Aufgabe trägt darüber hinaus zu einem längst fälligen, gerechten Umgang mit den für viele Menschen im globalen Süden spürbaren Auswirkungen des Klimawandels bei. Immerhin sind viele Folgen des Klimawandels bereits jetzt für einen nicht kleinen Teil der Menschheit bereits Realität. Darunter zählt der Anstieg des Meeresspiegels, zunehmende Stürme und Fluten, Hitzewellen und Dürren. Zukünftig dürften die zunehmende Ozeanversauerung sowie der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme die Fischerei sowie die Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt unter Druck setzen.
Seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 18. Jahrhunderts emittieren vorwiegend westliche Nationen Treibhausgas-Emissionen und befördern damit den menschengemachten Klimawandel. Auch wenn Ländern aus anderen Weltregionen, vor allem Asien, nachgezogen haben, trägt der Westen eine historische Verantwortung, Menschen zu helfen, die unseren Wohlstand mit der Aufgabe ihrer Lebensräume bezahlen müssen.
Erst wenn wir uns klar gemacht haben, dass der Klimawandel längst im Gange ist und dass seine Auswirkungen drastisch werden, können wir ernst machen mit der längst fälligen Unterstützung des Südens.
Vielleicht ist diese Einschätzung am Ende gar kein Ausdruck von Pessimismus, sondern Konsequenz einer nüchternen Einsicht… – Wie auch immer: Es wird Zeit zu handeln.
Autor: Dr. Dennis Kalde, PR-Berater
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Quellen:
Maslin, Mark: Climate Change. A Very Short Introduction. New York: Oxford University Press 2014.
Umweltbundesamt: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/beobachtete-kuenftig-zu-erwartende-globale#-ergebnisse-der-klimaforschung-
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